Thomas am 20.3.2015

Menschen in Interfaces


"As soon as the infant can see, it recognizes faces, and we now know that this skill is hardwired in our brains. Those infants who a million years ago were unable to recognize a face smiled back less, were less likely to win the hearts of their parents, and less likely to prosper. These days, nearly every infant is quick to identify a human face, and to respond with a goony grin."

— Carl Sagan von "The Demon-Haunted World"

Die Wahl der Waffen

Der Impact, den das Betrachten eines Gesichtes auslöst, ist einer der stärksten überhaupt. Gesichter sind ähnlich wie der Geruch von etwas brennendem: Es überdeckt einfach alles. Wird ein Gesicht erkannt, führt kein Weg daran vorbei, es nicht mehr wahrzunehmen. Wahrscheinlich war es ein evolutionärer Vorteil das Gesicht eines Tigers so früh wie möglich zu erkennen. Das Phänomen der Apophänie – in dem Menschen Gesichter in zufälligen Daten sehen – ist verantwortlich für viele kulturelle Effekte wie Naturreligionen und Anschauungen, die wiederum zu Aberglaube und Mystik führten. Sobald wir ein Gesicht sehen, fangen wir an es zu lesen und seine Bedeutung in soziokultureller und kontextueller Ebene zu interpretieren. Oder anders gesagt: Wir vergleichen es mit uns selbst.

House

In der Wahrnehmung eingeprägt

Es gibt viele Sachen in unserer Umwelt, die wir grundsätzlich nicht sonderlich beachten. Andere Muster sind wiederum so wichtig, dass unser Gehirn besondere Mechanismen entwickelt hat, um sie möglichst schnell und effizient zu verarbeiten. Soziale Informationen – wie der Gesichtsausdruck – gehören zur letzteren Kategorie. Unser Gehirn scheint vorprogrammiert zu sein, die Form menschlicher Gesichter – und allem was sich ihnen ähnelt – zu erkennen.

Ein Gesicht löst sofort Emotionen aus, die bestenfalls als Vertrautheit bezeichnet werden können. So wie eine Sprache, die wir ohne Mühe sprechen. Interessant ist auch die Tatsache, dass ein lächelndes Gesicht ein Lächeln auf dem eigenen Gesicht hervorruft. Grund hierfür sind die sogenannten Spiegelneuronen, die auf andere Individuen reagieren und Emotionen, taktile Eindrücke oder sogar Bewegungsmuster reproduzieren als inneres Feedback des eigenen Eindrucks.

Die Verarbeitung dieser Muster erscheint ganzheitlich abzulaufen, da sogar der Stimulus bis zu einer Auflösung von 12 x 14 Pixeln ausgelöst wird. Hier geht es um den gesamten Bildeindruck; es werden also keine einzelnen Bestandteile des Gesichts isoliert wahrgenommen. Aus diesem Eindruck werden dann wiederum vom Betrachter selbst gewisse Informationen hinzugefügt, die als "zweite-Hand" Emotion beschrieben werden könnten. Diese ganzheitliche Wahrnehmung ruht tief in der Entwicklung des Menschen, und hat den primären Zweck das menschliche Gesicht schnell von anderen Eindrücken und Gefahren zu unterschieden.

"As we have evolved, the brain has become capable of making complex social judgments on some very basic visual cues. […] All the social information is in the centre of the face, if the brain is distracted by imperfections, it processes less and so has a weaker social assessment of the person it is looking at."

– Dr. Arnaud Aubert, Experimental-Psychologe, Universität Francois-Rabelais, Frankreich

Sink

„Wir möchten, dass unsere neue Website Emotionen birgt!“

... ist ein Satz, den wir oft hören. Was der Kunde damit meint, sind meist seitenfüllende Bilder – hautpsächlich von Menschen – um dem expliziten Wunsch der „mehr Persönlichkeit" zu zeigen, nachzukommen. Ein Resultat, dass auf die extensiven Forschungsarbeiten und empirischen Arbeiten über den Wert menschlicher Gesichter zurückzuführen ist - und eine Idee, der wir sehr gerne nachkommen.

Im alltäglichen Agenturalltag jedoch stehen der Erfüllung einige Steine im Weg:

- Kein ausreichend gutes Bildmaterial vorhanden. Es muss Bildmaterial geschossen oder auf Stock-Images zurückgegriffen werden.
- Die Resultate von Shootings sehen „stocky" aus und verfehlen das Konzept.
- Es besteht der Wunsch echte Menschen zu zeigen, wie bsp. für Kontaktseiten. Es fehlt jedoch an echten Ansprechpartnern -> Stock-Images werden benutzt.
- Sofern sich für Stock-Images entschieden wird, ist es schwer ein ganzheitliches Set zu finden.
- Ein Set von Bildern wird für den Launch kreiert, jedoch nicht im weiteren Verlauf des Zyklus' aktualisiert.

Unter Umständen, und das ist nur eine Annahme, kann man eine Tendenz unter Agenturen sehen, den sicheren Weg zu gehen. Mit Bildern von Landschaften oder Objekten, weil es der kontrollierbarere und nachhaltigere Weg zu sein scheint.

Kunden brauchen hier die Führung der Agentur um diese einzigartigen Herausforderungen, die aus dem simplen Wunsch Dinge "emotionaler" zu machen resultieren, zu verstehen und sich zu eigen zu machen. In den ersten Gesprächen zu Beginn eines Projektes, zu Themen wie Content Strategy und Governance Strukturen, sind diese Diskussionsansätze hilfreich:

Bilder von Menschen in einem digitalen Produkt dürfen nie als Schmuck verstanden werden

Sie sollten immer die Story unterstützen und "mit erzählen". Das Bild eines Menschen wird eine direkt eine tiefe, direkte Verbindung beim User auslösen und er wird mehr Bedeutung in dieses Bild legen, als in andere Inhalte. Diese inhaltsbezogenen Bilder sollen zum Vorteil der Kommunikation genutzt werden und es lohnt sich diese Diskussion von Anfang an über den gesamten Projektverlauf zu führen.

Dieser Weg resultiert in gesteigerter Verantwortung für die Organisation

Bilder von echten Menschen als digitales Gesicht des Produktes zu nutzen bedeutet, dass zusätzliche Pflege notwendig ist. Die Bilder müssen annähernd wie die Menschen, die sie zeigen, behandelt werden. Mitarbeiter kommen und gehen, Positionen verändern sich und die Unternehmenskommunikation ändert sich. All dies sollte im Produkt widergespiegelt werden. Wir nutzen das menschliche Gesicht ja aus genau, weil es einen hohen Wert in der Kommunikation hat. Diesen hohen Wert hat es natürlich auch für die Person, die es trägt.

Stock

Aus großer Macht folgt große Verantwortung

…gegenüber dem Inhalt. Bilder von Menschen haben eine enorme Kraft - sie kommunizieren direkt und stark. Wir müssen sicherstellen, dass es auch wirklich die Geschichte ist die wir erzählen möchten. Werden diese Bilder leichtfertig eingesetzt, können sie unter Umständen den umgebendes Content beeinflussen und sogar etwas wichtigeres abwerten. Wenn wir einen Menschen sehen, folgen wir seinem Blick, wir spiegeln seinen Ausdruck, wir identifizieren uns oder eben auch nicht, wir glauben oder stellen in Frage. Das hat großen Einfluss über den wir uns bewusst sein müssen.

Wir haben festgestellt, dass eine frühe, intensive Diskussion dieser Punkte sehr dazu beiträgt ein gutes gemeinsames Verständnis bei den beteiligten Parteien herstellt und die Intentionen für den gemeinsamen Projektverlauf klären kann.

Die Lage bei Stock-Images

Im Verlauf des letzten Jahres hat sich die Stock-Image Landschaft wieder einmal deutlich, durch das Aufkommen von freien Stock Image Seiten, verändert. Viele neue Kollektionen sind aufgepoppt, fast durchgängig mit dem gleichen Model: Der Tausch von Publicity für den Photographen gegen freie Bilder. Mittlerweile sind diese Seiten zu einer wirklich wertvollen Resource geworden, nicht zuletzt weil diese Seite üblicherweise einen eher naturalistischen Ansatz in Sachen Stock-Fotografie wählen. Diese Bilder wirken in der Regel echter und einsetzbarer als die Angebote traditionellerer Anbieter wie Getty oder iStockPhoto. Das immer noch stark wachsende Angebot spiegelt anscheinend einen deutlichen Bedarf in der Branche wieder.

Aber, diese Angebot haben auch etwas mit den etablierten gemeinsam. Emotionen und Storytelling Mechanismen sind schwer zu klassifizieren und präzise, allgemeinverständlich zu beschreiben und zu finden. Die meisten der freien Seiten bieten keine Suche oder irgendeine Möglichkeit Bilder für einen bestimmten Anwendungszweck gezielt zu finden. Durch das freie Model ist das sicherlich nachzuvollziehen. Die Platzhirschen sind dort schon viel weiter und bieten gute Einstiege, allerdings fehlt auch hier der klar definierte Syntax über Angebote hinweg, der es möglich machen könnte Emotionen und Bedeutung sehr fein zu justieren. Es ist durchweg schwer Bilder zu finden die konsistent die Sprache sprechen, die für die jeweilige Kommunikation angebracht wäre.

Eine gute Übersicht über die freien Stock Image Sites finden man bei The Stocks, einem Angebot von Panda.

Ist Größe wichtig?

Wie schon weiter oben beschrieben, kann schon ein sehr klein dimensioniertes Bild eines Menschen eine deutliche emotionale Reaktion beim Betrachter auslösen. Auch wenn die Bilder in der Regel größer als ein paar Pixel sind, Laptops, Tablets und Phones zeigen Menschen in reduzierter Größe. Hier wird Distanz durch Abstraktion aufgebaut, das Interface ist unnatürlich. Mit dem aufkommen von größeren Interaktionsflächen, wie beispielsweise öffentliche Touchscreens - und Wänden, könnte dieses Verhältnis verschoben werden. Nun kann das Interface menschliche Dimensionen haben. Was passiert wenn ein Bild oder die virtuelle Darstellung eines Menschen dem Nutzer Auge in Auge begegnet und so wirklich zu einem human interface wird? Wird dies die emotionale Beziehung noch weiter stärken oder entsteht sogar etwas komplett Neues? Das ist definitiv ein neues, sehr interessantes Feld, dass wir gerne weiter erforschen möchten. Im Rahmen eines unserer aktuellsten Projekte, CASETURE, haben wir bereits angefangen diese Beziehung zu untersuchen. Der Ansatz wird im Case "Approacher" dargestellt.