Apple’s Vision Pro - Bitte nicht lachen!
Dieser Artikel ist zuerst auf W&V Online erschienen.
Am Produktrelease des neuen Tech Gadgets aus dem Hause Apple kommt aktuell niemand vorbei. Die Ankündigung des Gerätes hatte bereits im letzten Jahr hohe Wellen geschlagen und ist nun seit dem 2. Februar auch offiziell zu kaufen (zumindest in Amerika). Und als hätte jemand auf einen Knopf gedrückt, überschwemmt jetzt ein Welle von Youtube-Videos, Memes, Tech-Reviews, Meinungen sowie Social Media Posts die Öffentlichkeit und offenbart häufig eine skeptische bisweilen auch spöttische Sicht auf die neue Datenbrille.
Es ist natürlich einfach, sich darüber lustig zu machen. Nerds fahren mit der Brille in der U-Bahn und machen dabei linkische Gesten. Ein anderer filmt die Reaktion vorbeilaufender Passanten. Ein Tech Influencer vergleicht die Farbechtheit der Realität mit der Videodarstellung des Pass-Through und stellt ernüchternd fest, dass die Realität doch mehr Farben hat und ein anderer weist auf die Unnatürlichkeit der Augen-Projektion auf dem Außendisplay hin. Und wer von der Kritik noch nicht genug hat, schaut einfach mal in die dazugehörigen Kommentare und wähnt sich gleich in einer neuen Folge von Black Mirror.
DIe Apple Vision Pro ist für Professionals
Und ich verstehe das auch alles. Es ist ungewohnt und nicht jeder Verwendungszweck mit der Brille ergibt auch wirklich Sinn. Dennoch glaube ich, dass die ganzen Tech Reviews und der aktuelle Influencer Content eine verzerrte Idee von dem Produkt vermitteln. Wenn ein Influencer sich dabei filmt, dass er mit der Brille über den Times Square läuft, dann dient das in erster Linie seinen FollowerInnen und er bedient dabei die Aufmerksamkeits-Mechanismen seines Marktes. Man sollte sich aber mal eins deutlich machen: die Brille kostet fast $ 4000,-. Dass sich irgendwer diese Brille zulegt, der nicht beruflich damit zu tun hat, ist äußerst unwahrscheinlich. Noch weniger wahrscheinlich ist, dass diese Person mit einer solchen Brille durch New York laufen wird. Hier wird also ein Bild erzeugt, das der Sache nicht gerecht wird. Die Brille ist nicht als ein Tool für jedermann gedacht. Deswegen heißt sie auch “Pro”. Aber folgt man den aktuellen Berichten im Netz, kann man den Eindruck bekommen, dass das genau die Absicht von Apple ist. Das ist es nicht.
DIe Apple Vision Pro bildet den kompletten Umfang eines digitalen Büroalltags ab
Wenn man sich die Apple Vision Pro anschaut, dann muss man in eine andere Richtung denken. Anders als die anderen VR-Brillen auf dem Markt verfügt Apples Brille über eine vollständige Computerarbeits-Infrastruktur. Man nutzt demnach nicht einfach nur eine proprietäre Anwendungssoftware mit eingeschränkt nutzbaren Inhalten. Mit der Apple Vision Pro haben die NutzerInnen den kompletten Umfang eines digitalen Büroalltags abgebildet: Emails, Video Calls, Präsentationssoftware, Tabellenkalkulation, etc. Und nicht nur als ein weiteres Endgerät, sondern mit der Option, den physischen Raum und virtuelle Räume in den digitalen Arbeitsplatz zu integrieren.
Realität, digitale Kommunikation und die eigene Arbeit wachsen in einem Tool zusammen
Daher muss man sich nicht über die unechte Mimik der künstlich erzeugten Kopfbewegungen der Avatare lustig machen. Die Brille will keinen Facetime-Video-Call oder physische Treffen ersetzen. Der virtuelle Zwilling der NutzerInnen existiert rein aus UX-Design-Gründen. Was soll man auch machen, wenn man angerufen wird, während man sich in einer Arbeitssituation befindet? Kurz die Brille absetzen, den Computer öffnen, vorher noch die Haare machen, um dann nach dem Call wieder den Fokus zu finden, in einer getrennten Umgebung weiterzumachen? Das ist ja gar nicht die Idee eines solchen Mixed-Reality-Tools. Vielmehr ist die Idee, dass alle Ebenen, die Realität, die digitale Kommunikation und die eigene Arbeit in einem Tool zusammenwachsen. Das künstliche Abbild des eigenen Ichs ist das fehlende Bindeglied, um eine natürliche Zusammenarbeit mit anderen KollegInnen in einem digital erweiterten Raum überhaupt erst zu ermöglichen.
Gleiches gilt für das Aussendisplay. Alle, die schon einmal eine VR-Brille mit Passthrough-Funktion genutzt haben, kennen die Situation, dass dieselben Leute im Raum nicht wissen, ob du sie oder deine Umgebung wahrnehmen kannst. Das führt zwar zu lustigen Begegnungen, ist aber natürlich eine permanente Ablenkung für die NutzerInnen und auch für die anderen im Raum.
Apple hat mit der Brille genau das gemacht, was sie immer bei ihrem Produktdesign gemacht haben: durch eine Analogie aus der Realität eine weitere User-Experience-Design-Hürde verkleinert. Das ist ein Designprinzip und nennt sich Skeuomorphismus und ist der Grund, wieso der erste Kalender von Apple wie ein Filofax aussah. Natürlich konnte man darin nicht blättern, aber die Idee, Termine in eine Übersicht einzutragen, war damit erklärt, ohne es explizit zu sagen. Es geht also nicht in erster Linie darum, ob die Augen einen natürlich anschauen, es geht darum, dass es überhaupt welche gibt.
Batterie: nicht integriert, dafür verbesserter Tragekomfort
Viel Kritik muss auch die Batterie einstecken. Nicht nur, weil diese nicht integriert ist und per Kabel angebunden wird, sondern auch wegen der vermeintlich kurzen Akkudauer von 2 Stunden. Ich bin mir sicher, dass Apple das in weiteren Iterationen verbessern wird. Jedoch hat Apple sehr darauf geachtet, dass das Gewicht für den Nutzer nicht zu hoch wird, um damit den Tragekomfort zu verbessern. Außerdem kann je nach Arbeitssituation die Größe der Batterie leicht geändert werden oder für längere Einsatzzeiten auch ganz getauscht werden. Das ist bei fest verbauten Batterien nicht ohne weiteres möglich.
Darüber hinaus muss man sich bewusst machen, dass alle VR-Brillen eine permanent hohe Rechenleistung benötigen. Die Rechenleistung muss nicht nur für die Apps aufgewendet werden, sondern diese Brillen erzeugen permanent einen virtuellen Raum und berechnen darin in Echtzeit alle Elemente. Man muss sich das so vorstellen, als spiele man ein anspruchsvolles 3D-Spiel auf seinem Handy und streame das gleichzeitig in einer Videokonferenz. Unsere Smartphones wären alle nach einer Stunde bei 25% Rest-Batterie. Aber klar, einen 8-Stunden-Arbeitsalltag mit der Batterie der VR-Brille schafft man damit nicht. Aber ist das wirklich ein Problem? Mein Laptop hängt den ganzen Tag am Strom und ich nutze die Batterie nur in Meetingräumen oder unterwegs.
Selbstverständlich stellen die aktuellen VR-Geräte eine neue Kategorie in der Nutzung digitaler Tools dar. Der Umgang damit muss verstanden und gelernt werden und dadurch wird man langfristig auch eine Akzeptanz vieler Menschen erreichen. Als das iPhone erfunden wurde, haben sich viele Leute auch gefragt, wozu man das Display braucht und viele sind beim Tastentelefon geblieben. Wenn man sich heute das Nutzungsverhalten bei Smartphones anschaut, ist das Telefonieren an sich die Randfunktion.
Kommende Use Cases werden den Zweck der Brille offenlegen
Wir werden in den kommenden Monaten immer mehr Use Cases sehen, die den eigentlichen Zweck der Brille verdeutlichen. Unternehmen, die entfernt lebende MitarbeiterInnen haben, werden feststellen, dass $4000 pro Gerät weniger Geld kosten, als 3 Interkontinental-Business-Flüge pro Jahr. Menschen mit eingeschränkter Mobilität werden inklusiver an der Gesellschaft teilnehmen können und viele Lernapplikation sowie Spiele-Apps werden für Bildung, Fortbildung und Unterhaltung sorgen.
Wie relevant das Produkt aus Apple’s Sicht ist, zeigt der amerikanische Online Store. Die Brille hat dort einen eigenen Punkt im Hauptmenü bekommen, direkt nach dem iPhone und der Apple Watch. Es ist eine neue Kategorie. Nicht nur für den Online Store - auch für das Unternehmen und uns Menschen.